Kollegen-Bashing – Überraschung, es hilft nicht!

Bei allen Konferenzen, die meinen Kollegen und ich besuchen, poppt früher oder später das Thema Team-Kultur auf, als Grund von vielen/allen Problemen. Wenn wir erzählen, wie wir arbeiten, landen wir unausweichlich bei der Aussage “eine selbstorganisierte crossfunktionale Organisation ohne einen Chef, der DAS Sagen hat, ist naiv und nicht realistisch“. “Ihr habt irgendwo sicher einen Chef, ihr wisst es nur nicht!” war eine der abgefahrensten Antworten, die wir unlängst gehört haben, nur weil der Gesprächspartner nicht in der Lage war, dieses Bild zu verarbeiten: 5 Selbstorganisierte Teams, ohne Chefs, ohne CTO, ohne Projektmanager, ohne irgendwelche von außen eingekippte Regeln und Anforderungen, ohne Deadlines denen wir widerspruchslos unterliegen würden. Dafür aber mit selbst auferlegten Deadlines, mit Budgets, mit Freiheiten und Verantwortung gleichermaßen.

Ich spreche jetzt hier nicht vom Gesetz und von der Papierform: natürlich haben wir in der Firma einen CTO, einen Head of Development, einen CFO, sie entscheiden nur nicht wann, was und wie wir etwas tun. Sie definieren die Rahmen, in der die Geschäftsleitung in das Produkt/Vorhaben investiert, aber den Rest tun wir: POs und Scrum Master und Entwickler, gemeinsam.

Wir arbeiten seit mehr als einem Jahr in dieser Konstellation und wir können noch 6 Monate Vorlaufzeit dazurechnen, bis wir in der Lage waren, dieses Projekt auf Basis von Conways-Law zu starten.

“Organizations which design systems […] are constrained to produce designs which are copies of the communication structures of these organizations.” [Wikipedia]

In Umkehrschluss (und freie Übersetzung) heißt das “wie deine Organisation ist, so wird auch dein Produkt, dein Code strukturiert sein”. Wir haben also an unserer Organisation gearbeitet. Das Ziel war, ein verantwortungsvolles Team aufzubauen, das frei zum Träumen ist, um ein neues, großartiges Produkt zu bauen, ohne auferlegten Fesseln.

Wir haben jetzt dieses Team, wir leben jetzt diesen Traum – der natürlich auch Schatten hat, das Leben ist schließlich kein Ponyhof :). Der Unterschied ist: es sind unsere Probleme und wir drücken uns nicht davor, wir lösen sie zusammen.

Bevor ihr sagt “das ist ein Glücksfall, passiert normalerweise nicht” würde ich widersprechen. Bei uns ist es auch nicht nur einfach so passiert, wir haben (ungefähr 6 Monate) daran gearbeitet, und tun es weiterhin kontinuierlich. Der Clou, der Schlüssel zu dieser Organisation ist nämlich eine offene Feedback-Kultur.

Was soll das heißen, wie haben wir das bei uns erreicht?

  • Wir haben gelernt, Feedback zu geben und zu nehmen – ja, das ist nicht so einfach. Das sind die Regeln
    • Alle Aussagen sind Subjektiv: “Gestern als ich Review gemacht habe, habe ich das und das gesehen. Das finde ich aus folgenden Gründen nicht gut genug/gefährlich. Ich könnte mir vorstellen, dass so oder so es uns schneller zum Ziel bringen könnte.” Ihr merkt: niemals DU sagen, alles in Ich-Form, ohne vorgefertigten Meinungen oder Annahmen.
    • Alle Aussagen mit konkreten Beispielen. Aussagen mit “ich glaube, habe das Gefühl, etc.” sind Meinungen und keine Tatsachen. Man muss ein Beispiel finden sonst ist das Feedback nicht “zulässig”
    • Das Feedback wird immer konstruktiv formuliert. Es hilft nicht zu sagen, was schlecht ist, es ist viel wichtiger zu sagen woran man arbeiten sollte: “Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass Pair-Programming in solchen Fällen sehr hilfreich ist” z.B.
    • Derjenige, die Feedback bekommt, muss es anhören ohne sich zu recht fertigen. Sie muss sich selber entscheiden, was sie mit dem Feedback macht. Jeder, der sich verbessern möchte, wird versuchen, dieses Feedback zu Herzen zu nehmen und an sich zu arbeiten. Das muss man nicht vorschreiben!
  • One-and-Ones: das sind Feedback-Runden zwischen 2 Personen in einem Team, am Anfang mit Scrum Master, solange die Leute sich an die Formulierung gewöhnt haben (wir haben am Anfang die ganze Idee ausgelacht) und später dann nur noch die Paare. Jedes mal nur in eine Richtung (nur der eine bekommt Feedback) und z.B. eine Woche später in die andere Richtung. Das Ergebnis ist, das wir inzwischen keine Termine mehr haben, wir machen das automatisch, jedes Mal, wenn etwas zu “Feedbacken” ist.
  • Team-Feedback: ist die letzte Stufe, läuft nach den gleichen regeln. Wird nicht nur zwischen Teams sondern auch zwischen Gruppen/Gilden gehalten, wie POs oder Architektur-Owner.

Das war’s. Ich habe seit über einem Jahr nicht mehr Sätze gehört, wie “die Teppen von dem anderen Team waren, die alles verbockt haben” oder “Die kriegen es ja sowieso nicht hin” oder “Was kümmert es mich, sie haben ja den Fehler eingecheckt” Und diese Arbeitsatmosphäre verleiht Flügel! (sorry für die copy-right-Verletzung 😉 )